BGH, Urteil vom 10.03.2016, Az. I ZR 138/13
§ 87a Abs. 1 S. 1 UrhG
Eine Zusammenfassung der BGH-Entscheidung finden Sie hier (BGH – Topografische Landkarten als Datenbank), den Volltext des Urteils im Folgenden:
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Bundesgerichtshof
Urteil
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. März 2016 durch … für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 29. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 13. Juni 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der klagende Freistaat Bayern gibt durch das Landesamt für Vermessung und Geoinformation topografische flächendeckende Landkarten für das gesamte Bundesland Bayern im Maßstab 1:50.000 (sogenannte TK 50) heraus. Diese Karten werden nach (bundesweit) einheitlichen Abbildungsvorschriften (einem sogenannten Musterblatt) und einem einheitlichen geodätischen Bezugssystem erstellt. Sie haben folgendes Erscheinungsbild (beispielhafter Kartenausschnitt):
Der beklagte Verlag veröffentlicht unter anderem Atlanten, Tourenbücher und Karten für Radfahrer, Mountainbiker und Inline-Skater.
Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe zur Erstellung seines Kartenmaterials in soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung sechs Karten die TK 50 Karten des Klägers genutzt und die diesen zugrundeliegenden Daten übernommen. Er hat den Beklagten auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung in Anspruch genommen und die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung begehrt.
Das Landgericht hat den Beklagten zur Unterlassung der Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Wiedergabe von sechs Karten sowie zur Auskunftserteilung und Rechnungslegung hinsichtlich dieser Karten verurteilt und insoweit die Schadensersatzpflicht festgestellt (LG München, ZUM-RD 2013, 277). Die Verurteilung zur Unterlassung ist in Rechtskraft erwachsen, nachdem der Beklagte sich hiergegen mit der Berufung nicht gewandt hat. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen, soweit der Beklagte zur Auskunftserteilung und Rechnungslegung verurteilt und die Schadensersatzpflicht des Beklagten festgestellt worden ist (OLG München, GRUR 2014, 75). Es hat die Revision nur insoweit zugelassen, als es die auf den Schutz von Datenbanken nach §§ 87a ff. UrhG gestützten Ansprüche verneint hat. Mit seinem Rechtsmittel verfolgt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 18. September 2014 (GRUR 2014, 1197 = WRP 2014, 1465 – TK 50 I) dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Frage zur Auslegung des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken (ABl. Nr. L 77 vom 27. März 1996, S. 20) zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist bei der Frage, ob eine Sammlung von unabhängigen Elementen im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 96/9/EG vorliegt, weil sich die Elemente voneinander trennen lassen, ohne dass der Wert ihres informativen Inhalts dadurch beeinträchtigt wird, jeder denkbare Informationswert oder nur derjenige Wert maßgebend, welcher unter Zugrundelegung der Zweckbestimmung der jeweiligen Sammlung und der Berücksichtigung des sich daraus ergebenden typischen Nutzerverhaltens zu bestimmen ist?
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat hierüber durch Urteil vom 29. Oktober 2015 (C-490/14, GRUR 2015, 1187 = WRP 2016, 32 – Freistaat Bayern/Verlag Esterbauer GmbH) wie folgt entschieden:
Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken ist dahin auszulegen, dass geografischen Daten, die von einem Dritten aus einer topografischen Landkarte herausgelöst werden, um eine andere Landkarte herzustellen und zu vermarkten, nach ihrer Herauslösung ein hinreichender Informationswert bleibt, um als „unabhängige Elemente“ einer „Datenbank“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden zu können.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat angenommen, dem Kläger stünden keine Ansprüche wegen Verletzung der Rechte an einer Datenbank gemäß §§ 87a ff. UrhG zu. Dazu hat es ausgeführt:
Der Begriff der Datenbank im Sinne von § 87a Abs. 1 Satz 1 UrhG und Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 96/9/EG erfasse eine Sammlung, die Werke, Daten oder andere Elemente umfasse, die sich voneinander trennen ließen, ohne dass der Wert ihres Inhalts dadurch beeinträchtigt werde, und die eine Methode oder ein System beliebiger Art enthalte, mit der oder mit dem sich jedes der Elemente der Sammlung wieder auffinden lasse. Eine Landkarte enthalte eine Vielzahl von Informationen über den abgebildeten Teil der Erdoberfläche, so dass eine Sammlung von Informationen vorliege. Die Anordnung der Daten der dreidimensionalen Erdoberfläche auf der Karte orientiere sich am so genannten deutschen Einheitsnetz. Diese Anordnung sei systematisch im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie, weil jeder Punkt der Erdoberfläche einem Koordinatenpunkt eines zweidimensionalen Gitternetzes zugeordnet sei. Allerdings handele es sich bei diesen Einzelinformationen nicht um unabhängige Elemente im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 96/9/EG. Die in einer analogen topografischen Karte zu einem bestimmten Koordinatenpunkt gegebene Information sei für sich genommen kaum werthaltig. Der Nutzer benötige weitere Informationen, um die punktuellen Daten effektiv verwenden zu können. Der Wert der in einer Karte zu einem bestimmten Punkt enthaltenen Information werde durch eine isolierte, von weiteren Angaben in der Karte getrennte Betrachtung erheblich beeinträchtigt, auch wenn der Nutzer regelmäßig nicht alle in der Karte enthaltenen Informationen benötige.
II.
Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision des Klägers hat Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung können die auf den Schutz von Datenbanken nach §§ 87a ff. UrhG gestützten Ansprüche auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie auf Schadensersatz nicht verneint werden.
1.
Im vorliegenden Revisionsverfahren kommt es allein auf Ansprüche an, die auf den Schutz der Landkarten des Klägers als Datenbanken gemäß §§ 87a ff. UrhG gestützt sind. Das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision gegen die Verneinung der Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung (§ 101 Abs. 1 und 3 UrhG, §§ 242, 259 BGB) und des Begehrens auf Feststellung der Schadensersatzpflicht (§ 97 Abs. 2 UrhG) im Tenor seiner Entscheidung wirksam auf eine Verletzung des Rechts des Klägers an Datenbanken gemäß §§ 87a ff. UrhG begrenzt. Die Eingrenzung der Zulassung der Revision ist zweifelsfrei geschehen und betrifft einen eigenständigen Streitgegenstand und damit einen tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2015 – I ZR 58/14 Rn. 2 ff., juris, mwN).
2.
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung können Ansprüche des Klägers auf Auskunft und Rechnungslegung (§ 101 Abs. 1 und 3 UrhG, §§ 242, 259 BGB) sowie Schadensersatz (§ 97 Abs. 2 UrhG) wegen einer Verletzung seiner Rechte an Datenbanken im Sinne von §§ 87a ff. UrhG nicht verneint werden.
a)
Der Datenbankhersteller hat nach § 87b Abs. 1 Satz 1 UrhG das ausschließliche Recht, die Datenbank insgesamt oder einen nach Art oder Umfang wesentlichen Teil der Datenbank zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob der Beklagte nach Art oder Umfang wesentliche Teile im Sinne des § 87b Abs. 1 Satz 1 UrhG aus dem Kartenmaterial des Klägers übernommen und dieses vervielfältigt hat. Für das Revisionsverfahren ist dies daher zu unterstellen. Daraus folgt, dass der Beklagte schuldhaft Rechte des Klägers verletzt hat, wenn die in Rede stehenden Karten Datenbanken im Sinne des § 87a Abs. 1 Satz 1 UrhG sind.
b)
Eine Datenbank ist nach § 87a Abs. 1 Satz 1 UrhG eine Sammlung von Werken, Daten oder anderen unabhängigen Elementen, die systematisch oder methodisch angeordnet und einzeln mit Hilfe elektronischer Mittel oder auf andere Weise zugänglich sind und deren Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung eine nach Art und Umfang wesentliche Investition erfordert. Das Berufungsgericht hat – aus seiner Sicht folgerichtig – keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung der in den vom Kläger herausgegebenen Karten enthaltenen Daten eine nach Art und Umfang wesentliche Investition erfordert. Mangels abweichender Feststellungen des Berufungsgerichts ist daher im Revisionsverfahren zugunsten des Klägers davon auszugehen, dass eine solche wesentliche Investition erforderlich war und der Kläger diese getätigt hat.
c)
Für die Beurteilung des Streitfalls kommt es deshalb auf die Frage an, ob die übrigen Voraussetzungen einer Datenbank im Sinne von § 87a Abs. 1 Satz 1 UrhG gegeben sind. Die Vorschrift setzt Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 96/9/EG um und greift die Schutzvoraussetzungen nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie auf (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2005 – I ZR 1/02, GRUR 2005, 940, 941 = WRP 2005, 1538 – Marktstudien). § 87a Abs. 1 Satz 1 UrhG ist deshalb richtlinienkonform auszulegen.
aa)
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine topografische Landkarte eine Zusammenstellung von Daten enthält, die systematisch angeordnet sind.
(1)
Gemäß § 87a Abs. 1 UrhG sowie Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 96/9/EG können neben der Sammlung von Werken auch Daten oder andere Elemente geschützt sein. Bei den Geodaten und den Angaben zu den topografischen Eigenschaften der Landschaft handelt es sich um solche Daten.
(2)
Diese Daten sind im Rahmen der topografischen Landkarten auch systematisch angeordnet. Die Darstellung der dreidimensionalen Erdoberfläche orientiert sich – wie das Berufungsgericht festgestellt hat – am so genannten deutschen geografischen Einheitsnetz. Dabei handelt es sich um eine Hilfskonstruktion zur absoluten Bestimmung der Lage eines Einzelpunktes auf der dreidimensionalen Erdoberfläche durch Projektion und Entzerrung auf ein zweidimensional darstellbares Gitternetz. Jeder Punkt der Erdoberfläche entspricht somit einem Koordinatenpunkt des Gitternetzes und kann über diese Koordinaten auf der Karte aufgefunden werden. Über die Koordinaten des Gitternetzes lässt sich daher für jeden Punkt des Ausschnitts der Erdoberfläche, der auf der Karte dargestellt ist, eine Einzelinformation über diesen Punkt der Erdoberfläche entnehmen.
bb)
Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts, bei den Geodaten und den Angaben zu den topografischen Eigenschaften der Landschaft handele es sich nicht um unabhängige Elemente im Sinne von § 87a Abs. 1 Satz 1 UrhG und Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 96/9/EG.
(1)
Eine Sammlung von unabhängigen Elementen liegt vor, wenn die Elemente sich trennen lassen, ohne dass der Wert ihres informativen, literarischen, künstlerischen, musikalischen oder sonstigen Inhalts dadurch beeinträchtigt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2004 C-444/02, Slg. 2004, I10549 = GRUR 2005, 254 Rn. 29 Fixtures Fußballspielpläne II; BGH, Urteil vom 21. Juli 2005 I ZR 290/02, BGHZ 164, 37, 42 HIT BILANZ).
(2)
Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei topografischen Landkarten um Datenbanken im Sinne von § 87a Abs. 1 Satz 1 UrhG.
Wie der Gerichtshof der Europäischen Union auf den Vorlagebeschluss des Senats entschieden hat, stellen geografische Daten, die von einem Dritten aus einer topografischen Landkarte herausgelöst werden, um eine andere Landkarte herzustellen und zu vermarkten, unabhängige Elemente einer Datenbank im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 96/9/EG dar, da sie den Kunden des die Daten verwertenden Unternehmers nach ihrer Herauslösung sachdienliche Informationen liefern (GRUR 2015, 1187 Rn. 28 – Freistaat Bayern/ Verlag Esterbauer GmbH). Auf die Zweckbestimmung von topografischen Landkarten sowie ihren vom typischen Nutzer zu erwartenden Gebrauch kommt es für die Beurteilung der Unabhängigkeit der Elemente nicht an (EuGH, GRUR 2015, 1187 Rn. 25 f. – Freistaat Bayern/Verlag Esterbauer GmbH).
III.
Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht hat bislang noch keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung der in den vom Kläger herausgegebenen Karten enthaltenen Daten im Sinne von § 87a Abs. 1 Satz 1 UrhG eine nach Art und Umfang wesentliche Investition erfordern und ob der Beklagte im Sinne des § 87b Abs. 1 Satz 1 UrhG nach Art oder Umfang wesentliche Teile aus dem Kartenmaterial des Klägers übernommen und diese vervielfältigt hat.
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 20.09.2012, Az. 7 O 18006/07
OLG München, Entscheidung vom 13.06.2013, Az. 29 U 4267/12